Wer war Johanna Schweizer?

Erst „seelengute“ Handarbeitslehrerin, dann „lebensunwertes Leben“





Johanna Schweizer wuchs in einer Schuhmacherfamilie zusammen mit drei
älteren Brüdern auf. Nach einem sechswöchigen Kurs an der „Arbeitsschule“
in Leonberg erhielt sie 1897 eine Anstellung an der Gerlinger Schule. Als erste
methodisch ausgebildete Handarbeitslehrerin erteilte sie „Arbeitsunterricht“, der
gleichzeitig zum Pflichtfach für 7- bis 14-jährige Mädchen wurde. Der Beruf der
Lehrerin war zu dieser Zeit einer der wenigen, der Frauen offen stand. Er setzte
allerdings die Bereitschaft voraus, ledig zu bleiben und als „sittige, vornehme, dem
äußeren Treiben abgewandte, mehr in sich gekehrte, im Gespräch abwartende,
nicht herausfordernde, edle Frauenseele“ Vorbild für die weibliche Jugend zu sein.
30 Jahre lang hat „das seelengute Fräulein Schweizer …den kleinen Fingerchen
geholfen, mit Stricknadeln umzugehen“ und andere Handarbeitstechniken zu
erlernen. Vom Gemeinderat wurden ihr „Fleiß“ und „Hingabe“ bescheinigt.
1927 erkrankte sie und konnte nicht mehr unterrichten. Man beschäftigte sie
noch bis Januar 1931 als „Kinderschulreinigerin“, bis ihr Gesundheitszustand sich
– wieder – verschlechterte. Am 23. Dezember 1931 wies man Johanna Schweizer
mit der Diagnose „Depressionszustand“ in die Heilanstalt Weissenau ein. Dort
blieb sie die folgenden achteinhalb Jahre. In ihrer Krankenakte wurde sie meist
als „bildsäulenartig“ neben ihrem Bett stehend oder „wie ein Holzklotz“ im Bett
liegend beschrieben. Zwischen 1935 und 1937 schien sie zu genesen. In der
Heilanstalt leitet sie „auch alte schizophrene Endzustände teilweise mit recht gutem
Erfolg im Stricken und Nähen an“. In ihrer Krankenakte heißt es: Sie „gefällt sich in
dieser Rolle und hat nie einen besonderen Wunsch zur Entlassung.“
Im Rahmen der „Maßnahmen zur Vernichtung lebensunwerten Lebens“ wurde
sie am 10. Juni 1940 nach Grafeneck ‚verlegt’ und noch am gleichen Tag vergast
und verbrannt. Eine ehemalige Schülerin resümiert: „Sie hat Generationen von
Gerlingerinnen die Grundbegriffe der Handarbeit beigebracht und das war dann
der Dank des Vaterlands.“

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