Dr. Ernst Blumenberg








Dr. Ernst Blumenberg
Ernst Blumenberg ist am 26.2.1888 geboren und führte seit 1920 seine Kassen- und Privatpraxis in der Hauptstraße 14, die 1933 in die Adolf-Hitler-Straße umbenannt wurde.
Seine Praxis war gut besucht und auch nach 1933 hielt ihm ein Großteil seiner Patienten die Treue, vor allem die aus der ländlichen Umgebung und aus der nenndorfer Arbeiterschaft. Er behandelte die Kassenpatienten genauso gut wie die Privaten und setzte sogar die Behandlung jener Patienten fort, die während der Weltwirtschaftskrise 1929 arbeitslos geworden waren und kein Geld für eine Behandlung hatten.
Die Bad Nenndorfer Nazis jedoch setzten alles daran, die Praxis von Dr. Blumenberg zu ruinieren. Sie fotografierten die Besucher seiner Praxis von Hotel Hannover aus, welches direkt gegenüber liegt. An die Eingangstür seiner Praxis klebten sie Plakate mit antisemitischen Sprüchen und wenn er Hausbesuche bei seinen Patienten machte, verfolgten sie ihn, um festzustellen, wen er besuchte.
Diese Hetze gegen Ernst Blumenberg schuf in ganz Bad Nenndorf Hass und Fanatismus.
In der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1937 zeigte ein Nachbar Blumenberg wegen „Rassenschande“ an. Sein „Verbrechen“ war eine Liebesbeziehung zu einer aus Stadthagen kommenden christlichen Frau.So wurde seine, bisher sehr gut besuchte, Praxis Opfer der Denunziation der Gestapo und der Justiz.Blumenberg wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Hameln verbüßte, wo er Tüten kleben musste. Außerdem verurteilten sie ihn zu fünf Jahren Ehrverlust.
Als er 1939 entlassen wurde, stand sein Name auf der Verfolgungsliste der Gestapo. Ihm blieb nur die Flucht nach Shanghai, dem einzigen Ort, der einem deutschen Flüchtling zu diesem Zeitpunkt noch offen stand.
Dort lebte Dr. Blumenberg fast zehn Jahre lang als staatenloser, gettoisierter, erneut verfolgter Flüchtling. Die ganze Zeit arbeitete er als Arzt in einem Flüchtlingshospital, doch unter sehr schlechten Bedingungen, da kaum Medikamente vorhanden waren.
1943 internierten japanische Faschisten Blumenberg und andere Flüchtlinge in das Hongkju- Ghetto. Dort gehörte er zu dem kleinen Kreis der Widerstandsgruppe, die nach Kriegsende die „Gemeinschaft der demokratischen Deutschen in Shanghai“ begründete.
Nach der Befreiung kehrte er nicht, wie die Meisten der Mitglieder der „Gemeinschaft“ nach Deutschland zurück, sondern wanderte 1949 in die USA ein. Blumenberg ist nun 61 Jahre alt. Er musste sich nun mit dem fremden Land vertraut machen und zusehen, dass er überhaupt arbeiten konnte, da sein deutsches ärztliches Examen in den USA nicht gültig war.
So musste er erneut Medizin studieren, nachts, denn tagsüber arbeitete er als Krankenpfleger.
Er war dreimal so alt wie seine Kommilitonen, als er sich am Medical College in Richmont zur Prüfung anmeldete.
Dies war der Beginn seiner dritten Karriere, die er in einer Zeit begann, in der andere in den Ruhestand gingen. In Marion / Virginia wurde er Chefarzt am staatlichen Krankenhaus.
1953 heiratete er Margarete Prager, die er auf der Flucht kennen gelernt hatte.
Nach seiner Pensionierung im Jahr 1959 wurde er Leiter der Psychiatrie des Frauenkrankenhauses in Salisbury / North Carolina. 1968 ging er dort in den Ruhestand, man bat ihn jedoch wieder zurück. So arbeitete er dort noch bis 1971 halbtags.
Er besuchte Deutschland und auch Bad Nenndorf noch ein Mal, 1967 zusammen mit seiner Frau.
Ernst Blumenberg starb am 27. August 1973 nach einem Herzinfarkt im Alter von 85 Jahren in Salisbury.

Quellen: K. Kreter: Bad Nenndorf im „Dritten Reich“, Lebenswege der Nenndorfer jüdischen Glaubens, 1987
Ernst Blumenberg, Gedichte




Dieses Schild befindet sich an dem Haus, wo Dr. Blumenbergs Praxis untergebracht war




Hotel Hannover, von dem aus die Nazis Dr. Blumenbergs Praxisbesucher fotografierten





Ernst Blumenberg - Gedichte

Jugendliebe

Es liegt ein Glanz auf allen Dingen,
weil mein Herz dich liebt.
In allen Räumen ist ein Klingen,
weil es dich gibt.

Mir ist, als wäre das Leben
Nun tiefer und reicher als je,
in allen Walten und Weben
scheint weniger Mühsal und Weh,
weil es dich gibt.

Nun werden meine Träume wieder leicht.
Fiel nicht ein Stern vom Himmelszelt?!
Des Herzens alte Schwermut weicht,
und schöner ist die Welt,
weil es dich gibt.


Ruf aus dem Ghetto

In meinem Blute klagt ein altes Lied
von meiner Mutter her;
das schimmert aus den Tränen meiner Augen,
meine Schultern tragen schwer.

Der Urväter tausendjährige Qual
hat meine Seele entwaffnet,
auf meiner Stirne brennt das Mal
der Gezeichneten.

Meine Worte haben den bitt’ren Hauch der Armen,
müde bin ich von all den gewanderten Wegen,
und immer noch betet mein Herz
um Sonne, um Segen.

Warum dringst du nicht zu mir?
Wie Sterne kreisen wir weltfern umeinander,
senden uns kaum einen wärmenden Strahl
und verlöschen.
The End is not yet...

Ich höre nicht auf, in den Himmel zu schauen,
wo die Wolken ziehen und die Sterne blüh’n, -
die Berge zu lieben, die Wiesen und die Bäume,
in denen Vögel singen und ihre Nester bauen,
an das Märchen zu glauben und an die Herzen, die in Liebe und Leid
verglüh’n.

Noch leuchtet die Sonne und singt der Wind,
es rauscht der Walt und blaut das Meer,
die Nächte flüstern, der Regen tropft, der Frauen Stimmen klingen
und es lächelt ein Kind-
So voller Schönheit ist die Welt! Noch sind Herz und Sinn nicht leer.

Symphonien durchströmen das All. Durch große Geister flutet das
Licht
des Gedankens, hellt den dunklen Pfad des Lebens und geheimen
Sinn der Natur,
wird zur Tat und wandelt der Erde Gesicht.
In allem leuchtet des Schöpfers göttliche Spur.

Sieh mir ins Herz. Noch ist’s nicht Zeit zu sterben.
Der Tod ist weit, und alles ist nur dankbares Empfangen und ein
selig’ Geben.
Wir sind des Glückes ungewollte Erben,
wenn wie einander lieben und das Leben.


Am Jom Kippur (5711)

(3.10.1950)

Sieh nicht nach der Sanduhr! Unser Stern, der Jahrhunderte braucht, ehe er tröstlich und mild unser Auge trifft, hat die Zeit vergessen
Wie wir, wenn uns’re Hände sich wieder ineinanderlegen, zärtlich
und
stumm. Es haucht
Vergessenheit gnädig über den Spiegel Vergangenheit – als hätte sie
uns nie gequält und besessen.

Und wenn der Hauch zerrinnt und das Bild der Wahrheit ohne
Schleier wiederkehrt,
lass uns ihr in’s Auge schauen, wie sie war. In Demut und Reue
bekennen, dass wir manchmal Unrecht taten, böse waren und verkehrt
verstanden was gemeint war. – Dann lass und vorwärts blicken auf
das Gute und das Neue.

Wir wollen uns versöhnen. Soviel Mühsal und Irrtum ist in der Welt!
Not macht hart und schlecht. Es ist manchmal schwer, gut zu sein. –
Aber das Reh, die Blumen, Mutter und Kind? – Was lohnt und hält,
wenn nicht Sanftmut und Liebe, Schönheit und Güte? – Versteh’n
und Verzeih’n ist alles, graßmütig und rein.

Lass keine gute Regung und keinen Gedanken schon im Keime
ersterben.
Sie möchten zu Leben und Segen werden.

„Du sollst nicht töten“! - - Sieh nicht zurück.
Alle Kreatur liebt das Leben und Glück.


Selbstportrait

Mit hartem Sichel meißelt die Zeit,
Pünktchen von Freude und Furchen von Leid,
Figuren, die auf jedem Antlitz,
das wir menschlich nennen,
zu seh’n sind: Linien und Flächen, Höhen und Tiefen, ein wenig
Witz,
das Menschseins Licht und Schatten, Widerschein von
Leidenschaften,
die im Öl der Triebe brennen.

Tat ich genug um die Gewalten,
die alle formen, zu mildern oder fördern und mitzugestalten? - -

Vom Vater oder Ahnen des kahlen Kopfes Form, den Bart, den
schmalen Mund
Der Mutter Weichheit und das stets breite Lächeln um die Augen,
die traum- und furchtvoll sind, der Stirne gefälliges Rund,
in der versteckter Schelm, und Güte wohnen, nicht hart genug zum
Kampf zu taugen;
Nicht Adel und Gnade noch Größe und Weite genug für den heiligen
Raum
des Geistes, von Göttern vom Wohnsitz erklärt, nur der freundliche
Saum
des Menschenkleides, das alle tragen im Werktag, der Dasein heißt.
Nur just ein Mensch, der menschlich zu sein sich bemüht,
Gott und dem Schicksal ergeben, bis ihn, wie alle, es reißt
in den namenlosen Tod. – Einer von vielen, der im Meere des
Lebens tropfengleich versprüht.



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