Geschichte - 12d

Erfahrungen mit einem Zeitzeugen innerhalb der Service-AG*



Vor einem halben Jahr lernte ich in Rahmen meiner sozialen Tätigkeit der Nachbarschaftshilfe in Geisenheim Frau N. kennen. Einmal in der Woche besuche ich die 84-jährige Dame und leiste ihr und ihrem kleinen Hund eine Stunde lang Gesellschaft. Oft kommen wir bei einer Tasse Tee auf die alten Zeiten und ihre tief eingebrannten Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg zu sprechen. Im Folgenden werde ich versuchen, eine Zusammenfassung der sehr emotional geprägten Erlebnisse darzulegen, die wohl kaum den Schrecken, die Brutalität und das Ausmaß der Diskriminierung dieser Zeit widerspiegeln kann. Die Lebensgeschichte der alten Dame hat mich sehr bewegt und ich bin ihr äußerst dankbar, dass sie mir eine Beleuchtung der deutschen Geschichte aufgezeigt hat, die kein Geschichtsunterricht zu vermitteln vermag.

Während der Anfänge des Krieges lebte die junge Frau N. zusammen mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf in der Nähe von Prag im damaligen Sudetendeutschland. Eines Wintertages wurde ein großer Zug von etwa 50 gefangenen Russen durch die Straßen getrieben. Sie hatten keine Schuhe an und froren schrecklich auf dem dicken Eis, das sich auf den Wegen breit gemacht hatte. Ihre Kleidung war schmutzig und während des Laufens „fielen sie um wie die Fliegen“. Obwohl Frau N.s Familie selbst kaum Nahrung zum Überleben hatte, kochte die Mutter Tee, nahm etwas Brot und brachte es den hungernden Russen. Manchmal wurde sie von Unteroffizieren, die den Zug begleiteten, abgehalten, andere wiederum ließen diese menschliche Geste zu. Klassenkameraden von Frau N. beobachteten die Gefangenen, die in einer Scheune auf dem Heu übernachteten. Dabei sahen sie wie sich die Hungernden „wie Wilde“ auf gekochte Kartoffeln stürzten, die ihnen die Begleitpersonen gekocht und in den Schnee geschüttet hatten. Frau N. dachte sich schon damals, dass die Russen sich bestimmt rächen würden, weil sie auf diese erniedrigende Art und Weise von den Deutschen behandelt worden waren.

Im Jahre 1945 arbeitete Frau N. als Lazarettköchin und bekochte „ihre“ rund 200 Soldaten. Als die Russen Sudetendeutschland angriffen, kam eine große Anzahl deutscher Flüchtlinge, die weiter östlich gewohnt hatten, in ihr Dorf. Da es ein weiterer bitterkalter Wintertag war, suchten sie verfroren, hungernd und schmutzig Zuflucht. Einer trug ein totes Kind, das den eisigen Temperaturen nicht hatte standhalten können. Frau N. gab ihnen etwas zu essen, doch auf das Angebot hin mit in den Westen Deutschlands zu flüchten, lehnte sie ab. Ihr zu Hause, in dem sie sich wohl fühlte, und ihre Familie konnte sie nicht verlassen. Daraufhin tauschten alle die Adressen aus, um weiterhin in dieser schwierigen Zeit in Kontakt zu bleiben. Bis heute hat sie von keinem einzigen der Flüchtlinge ein Lebenszeichen bekommen. Sie reisten zum Dresdener Bahnhof und kamen dort vermutlich alle bei dem Bombenangriff auf Dresden ums Leben.

Einige Zeit später (etwa Anfang 1945) musste Frau N. dennoch flüchten, da die Russen immer weiter ins Landesinnere vorgedrungen waren. Eine Einheit der Wehrmacht wollte den russischen Truppen nach einer verlorenen Schlacht nicht in die Hände fallen und flüchtete in einem langen Zug von Panzern. Unterwegs nahmen sie einige Frauen der Dörfer mit, so auch die damals 21 Jahre alte Frau N., die sie auf einer kleinen Kiste in einem Panzer postierten. Nachts folgte der Zug dem Motorradfahrer, der stets vorausfuhr um die Situation zu überprüfen und eines Nachts dabei erschossen wurde. Ein Soldat für diese gefährliche aber für die folgenden Fahrzeuge äußerst wichtige Aufgabe musste lange gesucht werden. Während der Fahrt durch die tschechischen Dörfer durfte auf keinen Fall aus der Panzerluke gespäht werden, ansonsten „wäre der Kopf weg gewesen“. Am Tage versteckten sich alle im Wald, um nicht von den Tschechen entdeckt und angegriffen zu werden. Während der endlos erscheinenden Fahrt aß Frau N. nichts und trank äußerst wenig, weil sie Angst hatte, beim Austreten getötet zu werden. Ohne große Vorkommnisse erreichte der Zug schließlich nach acht elend langen Tagen Karlsbad.

In der neuen Stadt angekommen herrschten jedoch kaum bessere Lebensbedingungen. Die Soldaten der russischen Truppen, die Karlsbad belagerten, suchten Frauen fürs Kochen oder Waschen. Viele wurden missbraucht und manchen dabei die Brustwarzen abgebissen. Vor lauter Verzweiflung begingen etliche Frauen Suizid. Frau N. konnte die Angst vor den großgewachsenen Russen nur überwinden, wenn ihr Hunger zu groß geworden war und sie Lebensmittel auf dem Markt einkaufen musste. Vor einem der Belagerer, welcher Frau N. gegen ein Stück Brot mitnehmen wollte, konnte sie glücklicherweise durch den Wald fliehen. Seine Rufe sind heute noch tief in ihrem Gedächtnis verankert.
Des Weiteren warfen die Russen Eier- bzw. Streubomben in den Straßen von Karlsbad. Weitere zahlreiche alleingelassene Frauen kamen dabei ums Leben. Hinter einem Misthaufen versteckt und anschließend in einen sicheren Keller gestürzt überlebte Frau N. diese Anschläge. Das Kellergewölbe war gefüllt mit weinenden und klagenden Frauen, die meisten von ihnen Bauern. Zu der Beerdigung ihrer Mutter kam Frau N. zu spät, da der Briefverkehr zu langsam gewesen war. Sie erfuhr, dass die Mutter noch „halbtot“ aus ihrer Heimat ausgewiesen worden und kurz darauf verstorben war.

Kathrin Eschmann

*Anm. der Redaktion: Service-AG beschreibt einen Bestandteil des Konzepts der Internatsschule Schloss Hansenberg, bei dem Schüler einmal wöchentlich gewisse gemeinnützige Tätigkeiten innerhalb und außerhalb der Schule verrichten.

Nachdenken über 1933–45 unter dem biographischen Aspekt



Ausbildung zum Unmenschen oder Widerstand

Am Beispiel eines hessischen Adligen wird die Scheidegrenze zwischen Anpassung und Widerstand besonders deutlich. Adam von Trott zu Solz stand im Dienst des III. Reiches als Diplomat – und wirkte dennoch für den Widerstand gegen Hitler. Sein Engagement „im Auge des Orkans“ kostete ihn nach dem Scheitern des 20. 7. 44 sein Leben.

(aus: H.Wuermling, Doppelspiel, München 2004, S.222f.)

Adam von Trott zu Solz: Letzter Brief an seine Frau Clarita, 26. 8. 1944, Berlin-Plötzensee:

„Liebes Claritchen, dies ist nun wohl das Allerletzte. Hoffentlich hast Du meinen letzten längeren Brief noch bekommen. Vor allem: Vergib mir für all den tiefen Schmerz, den ich Dir verursachen musste. Sei gewiss, ich bin in Gedanken auch weiter mit Dir und sterbe voller Zuversicht und Glauben. Es ist heute ein klarer „Peking-Himmel“, und die Bäume rauschen. Lehre unsere lieben, süßen Kleinen, dies Zeichen und die noch tieferen unseres Gottes dankbar, aber auch tätig und kämpferisch zu verstehen. Ich liebe Dich sehr. Es bliebe noch so viel zu schreiben – aber es ist keine Zeit mehr. Gott behüte Dich…
…in unverbrüchlicher Liebe
Dein Adam
Grüß mir Imshausen und seine Berge. “


Adam von Trott zu Solz

Referat: Eckdaten zu Bonhoeffer



Bonhoeffers Leben
• 1906 am 04. 02. in Breslau geboren (sechstes von acht Kindern)
• 1923 Abitur und Beginn des Theologiestudiums
• 1930 Habilitation und 2. Staatsexamen
• 1931–35 Tätigkeit als Pfarrer im In- und Ausland (Barcelona, New York, London, Berlin)
• 1937–41 Zeit der Zensur (Verbot des Predigerseminars und Rede- und Publikationsverbot)
• 1938 Erste Kontakte zum politischen Widerstand
• F1939 Flucht vor den Nazis nach Amerika und sofortige Rückkehr aus Gewissensgründen
• 1940 Mitarbeiter im Amt Ausland/Abwehr
• 1943 Verlobung mit Maria von Wedemeyer und kurz darauf Verhaftung
• 1945 am 09. 04. in Flossenbürg erschossen
Motivation zum Widerstand
• Gebot der Nächstenliebe widerspricht dem extremen Rassismus der Nazis
• Verpflichtung gegenüber Gott und den Mitmenschen, alles zu tun, um für Freiheit und Schutz aller zu sorgen

Quelle:
Brunners, Christian / Bassewitz, Gert von (2004): Auf den Spuren von Dietrich Bonhoeffer. Hamburg: Ellert & Richert Verlag GmbH

Hannes Lindenberg

Beitrag von Lisa Buchauer



Reaktion auf einen Brief nach der Eröffnungsveranstaltung (s. Einstieg).

Einleitende GedankenEinstiegProjektübersichtArbeitsgruppen und ThemenPräsentationWarum Nono?Impressum